Pressefach Hagemeister
Klinker – Tragwerk oder Tapete
Internationale Referenten beim Architektenseminar 2017
Nottuln, 27. März 2017. Die Renaissance des Backsteins ist dank seiner unverwechselbaren Haptik und künstlerischen Strahlkraft in der aktuellen Architekturszene überall zu spüren. Wie nationale und internationale Architekten den traditionellen Baustoff Klinker immer wieder neu interpretieren, stellten am 7. und 8. März Ir. Koen Mulder aus Delft, Dipl.-Ing. Joerg Verwohlt aus Emsdetten, Jeroen Geurst aus Den Haag und Dipl.-Ing. Joachim Hein aus Düsseldorf den rund 470 Teilnehmern beim Klinkerseminar in Nottuln vor.
„Klinker – Tragwerk oder Tapete“: Mit einer Frage, die eigentlich keine Frage ist, eröffnet Dr. Christina Hagemeister die 14. Auflage des Klinkerseminars 2017: „Wir haben unser Leitthema bewusst ohne Fragezeichen formuliert, weil es uns nicht darum geht, zu philosophieren, was das Richtige ist, sondern weil wir mit Ihnen die vielfältigen Ausprägungen des Klinkers beleuchten wollen.“ In ihren Vorträgen luden die Referenten die Teilnehmer ein, ihre Sichtweisen auf die vielfältige Materialität von Klinker kennenzulernen.
Koen Mulder, Ir. Architekt und Bautechniker:
The thrilling surface – the brick bond as a composers tool
In seiner Forschung beschäftigt sich Architekt und Bautechniker Ir. Koen Mulder, der als Dozent an der TU Delft lehrt, mit der Rhythmik von Mauerwerksverbänden als Proportionierungssystem für die Fassadengestaltung. In seinem jüngst erschienenen Buch mit dem Titel „Het zinderend oppervlak“, das Mulder derzeit auch auf Deutsch übersetzt, widmet er sich der Vielzahl der Mauerwerksverbände. Auslöser für die Veröffentlichung war seine jahrelange Forschung einerseits und ein Aufenthalt in Sevilla andererseits, wo ihn die kunstvollen Mosaiken des Alkazars inspirierten. Angeregt von dem Benediktiner Mönch und Architekten Hans van der Laan aus Delft untersucht Koen Mulder geometrische Prinzipien und das Spiel von Licht und Schatten. Als Beispiel für Bauten, die eine harmonische beinahe musikalische Wirkung erzielen, zitierte Koen Mulder den Architekten bei seiner Arbeit am Amsterdamer Stadtteil „De Pijp“.
Dipl.-Ing. Jörg Verwohlt: Bericht aus der Region Münsterland – jenseits der Leuchtturmprojekte
In seinem Vortrag setzt sich der Inhaber des Architekturbüros Verwohlt Architekten BDA aus Emsdetten mit dem Begriff „Leuchtturmprojekte“ und ihrer Bedeutung für die Region auseinander. Der in Emsdetten geborene Architekt hat in Aachen und Kassel studiert, um dann in seine Heimat zurückzukehren. In seinem Plädoyer für „unaufgeregte“ Architektur vertritt Jörg Verwohlt die Ansicht, dass das Richtige nicht immer spektakulär sein muss. Ein Beispiel dafür ist der Umbau des ehemaligen Mühlenhofes in Coesfeld-Lette, dessen Tragwerk aus Vollklinkermauer im Reichsformat bestand: „Innen war alles verrottet und wir haben tatsächlich aus dem Tragwerk eine Tapete gemacht“, beschreibt Jörg Verwohlt das Umbauvorhaben eines Ehepaares, das sich damit den Traum vom Wohnen auf dem Land erfüllen wollte. In dem unaufgeregten Einordnen in die städtebauliche Umgebung verbunden mit der schlichten Optik und der für die Region typischen Materialität des Klinkers liegt für ihn der Reiz einer „anständigen“ Architektur: „Das bedeutet für mich Architektur, die Alltagsaufgaben hervorragend löst und auf den ersten Blick nicht spektakulär erscheint, auf den zweiten Blick jedoch ein solches Potenzial entfaltet, dass sie eine neue Identität stiftet“, erklärt Jörg Verwohlt, der seine Gebäude mit Klinker umhüllt und ihnen damit eine ruhige, erdverbundene Ausstrahlung verleiht.
Jeroen Geurst: Der Maßstab des Klinkers – The scale of brick
Dass Klinker besonders in den Niederlanden und in Nordeuropa das beherrschende Baumaterial ist, zeigt Jeroen Geurst, geschäftsführender Gesellschafter von Geurst und Schulze Architekten mit Sitz in Den Haag anhand zahlreicher Projekte: Angefangen bei der Börse von Amsterdam, die als Backsteinbau von 1897 bis 1903 von dem Architekten Hendrik Petrus Berlage gebaut wurde, über den Campus Overhoeks in Amsterdam Noord bis zum Gebäudeensemble Nieuw Crosswijk in Rotterdam mit der Sortierung Gent von Hagemeister. Dabei stellt er immer wieder die Bezüge des Klinkers zu menschlichen Maßeinheiten einer Hand, eines Fußes oder eines Arms her: „Alle großen Strukturen, die wir bauen, beginnen klein mit den Proportionen der menschlichen Hand“, sagt Jeroen Geurst. Die traditionelle archaische Bauweise Stein auf Stein habe für ihn auch heute noch ihre Berechtigung: Ein Maurer halte in der einen Hand den Stein und in der anderen Hand die Speiskelle. Deswegen sei es wichtig, die Maße des Klinkers nicht zu groß werden zu lassen. Den architektonischen Entwürfen von Jeroen Geurst liegt ein ausgeklügeltes Regelsystem von Maßeinheiten und Proportionen zugrunde.
Dipl.-Ing. Joachim Hein: WerkBundStadt 2016 – Ein Experiment
Als geschäftsführender Gesellschafter von RKW Architektur + aus Düsseldorf beschäftigt sich Joachim Hein mit der WerkBundStadt Berlin und der Aufgabenstellung, modernes Wohnen, Leben und Arbeiten in der Stadt neu zu interpretieren.
Diesem Leitthema widmet sich der 1907 gegründete Werkbund als Vereinigung von Künstlern und Unternehmen. Die WerkBundStadt Berlin greift den inhaltlichen Diskurs um das urbane, dichte Leben in der Stadt auf und hat 33 Architekturbüros eingeladen, ein städtisches Quartier auf dem Grundstück eines ehemaligen Tanklagers zu entwickeln. Joachim Hein ist mit seinem Büro RKW Architektur + von Anfang an dabei und stellt in seinem Vortrag den ungewöhnlichen Prozess des Diskurses der insgesamt sieben Konzept-Klausuren vor: „Das städtebauliche Konzept soll im Dialog der Büros untereinander entstehen. Es bestand Konsens darin, dass wir keine Solitäre gesucht haben, sondern einen urbanen Stadt-Typ“, erklärt er. Jedes Büro erhielt per Losverfahren jeweils drei Baufelder, die es auf der Grundlage der insgesamt elf festgelegten Regularien zu planen galt. Eines davon sah vor, dass 60 % der Fassaden mit Backstein gestaltet werden sollten. Vom monumentalen Backsteinturm bis hin zur schlichten Umrandung der Fenster zieht sich der Klinker durch die Entwürfe der teilnehmenden Architekten. Während die massiven Blöcke von Kahlfeldt Architekten den Straßenraum zonieren, entwirft das Schweizer Büro Max Dudler Architekten AG in Zusammenarbeit mit dem Büro Kleihues+Kleihues fünf skulpturale Gebäude, und Prof. Hans Kollhoff rückt das Dach als architektonisch fein ausformuliertes Gestaltungselement in den Fokus. Mit zwei baugleichen Stadthäusern inszeniert RKW Architektur + Eingänge und Öffnungen auf der Schwelle zum Innen und Außen. „In unserem Entwurf gehen wir über die reine Verknüpfung von Wohnen und Arbeiten hinaus, indem wir fließende Raum-Geometrien mit vielen kleinen Wohneinheiten bilden, die bei Bedarf abgetrennt oder zugeschaltet werden können“, erläutert Joachim Hein. Für ihn ist die WerkBundStadt Berlin ein Experiment, dessen besonderer Reiz in der demokratischen Entscheidungsfindung liege. Dabei sei es nicht entscheidend, ob das Quartier eine große Landmarke werden könne, weil der Entstehungsprozess an sich im Vordergrund stehe. Parallel zum städtebaulichen Konzept läuft zurzeit der B-Plan, der weitere offene Fragen auf dem Weg zur Realisierung beantworten soll.
ca. 7.261 Zeichen
Infokasten: 14. Hagemeister Klinkerseminar
Seit 2003 veranstaltet Hagemeister jedes Jahr von den Architektenkammern anerkannte Fortbildungsseminare für Hochbau-Architekten. In diesem Jahr haben Dr. Christina Hagemeister und Christian Hagemeister, Geschäftsführer des Nottulner Ziegelwerks, zum 14. Mal das Hagemeister Klinkerseminar durchgeführt und vielseitige Aspekte der Klinkerarchitektur zur Diskussion gestellt. Mit zwei internationalen Referenten ist es Hagemeister gelungen, die Niederlande und ihre Baukultur vorzustellen. Mit dem Blick in die Region Münsterland und die Hauptstadt Berlin mit der vieldiskutierten WerkBundStadt hat das Klinkerwerk die hohen Erwartungen der Teilnehmer auch in diesem Jahr erfüllt.
Dr. Ing. Wolfgang Wagner, Hippenstiel & Wagner, Architekt BDA
„Ich komme schon seit Jahren hierher, es ist eines der schönsten Seminare, die ich kenne. Ich habe hier schon sensationelle Vorträge gehört.“